Selbstbestimmung und Körper

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Die Möglichkeit und das Recht der Frau, selbst zu entscheiden, ob und wie viele Kinder sie haben will, waren essentiell auf dem Weg zur Selbstbestimmung.

Bis ins 20. Jahrhundert bestimmte die Abfolge aus Schwangerschaften, Geburten, Stillphasen und Beerdigungen das Leben vieler Frauen und forderte all ihre Kräfte. Zehn Schwangerschaften und mehr im Leben einer Frau waren keine Seltenheit. Durch die viele Arbeit, schlechte Hygiene und mangelnde Werkzeuge für Untersuchungen waren Mutter und Ungeborenes immer gefährdet.

Die Kindersterblichkeit war extrem hoch, ebenso das Risiko der Frau, bei der Geburt oder nach der Geburt an Kindbettfieber zu sterben. Verhütungsmittel gab es kaum, Schwangerschaftsabbrüche konnten nur illegal und meist unter lebensgefährlichen Bedingungen durchgeführt werden.

Mit der Erfindung der „Pille“ 1962 begann diesbezüglich eine neue Ära. 1975 trat die Fristenregelung in Kraft, womit der Schwangerschaftsabbruch straffrei wurde und damit kein lebensgefährliches Risiko mehr war. Bis 1989 bekamen unverheiratete Mütter die Vormundschaft für ihr Kind nur über Antrag; der automatische Vormund war die Bezirksverwaltungsbehörde. Erst dann wurden sie den verheirateten Müttern gleichgestellt.

Erste und zweite Frauenbewegung machten bisher private Themen wie Hausarbeit, Kindererziehung, häusliche Gewalt und Sexualität zu Themen politischer Diskussion. Das sichtbare Überschreiten der Rollenbilder, der Bruch mit den für Frauen geltenden Normen und die Entkriminalisierung von Homosexualität brachten Selbstbewusstsein und gleichzeitig massive Anfeindungen.

Die meisten Übergriffe auf Frauen passierten damals wie heute im familiären Umfeld, immer noch ist jede fünfte Frau von männlicher Gewalt betroffen. 1978 erkämpften Sozialarbeiterinnen in Wien mit einer Wohnungsbesetzung das erste Frauenhaus. 1989 wurde auch Vergewaltigung innerhalb der Ehe unter Strafe gestellt. Seit 1997 ermöglicht das Gewaltschutzgesetz die Wegweisung gewalttätiger Personen aus der gemeinsamen Wohnung.

1993 wurde auf Initiative von Johanna Dohnal mit dem Gleichbehandlungsgesetz sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vom Kavaliersdelikt zu einer klagbaren Handlung und der Arbeitgeber zur Abhilfe verpflichtet.

2014 gibt es in Österreich 30 Frauenhäuser und Einrichtungen wie das Übergangswohnhaus Miriam in Währing. Es gibt Frauennotrufe, einschlägige Beratungsstellen, Gewaltschutzzentren und ein Gewaltschutzgesetz. Der Großteil der gesetzlichen Regelungen wie die gesamte Infrastruktur wurden innerhalb nur einer Generation geschaffen. Ihr Bestand ist nicht gesichert und muss immer wieder erkämpft werden.

Bis ins 20. Jahrhundert wurden auch im deutschsprachigen Raum Genitalbeschneidungen an Frauen durchgeführt, um vermeintliche weibliche „Leiden“ wie Hysterie, Nervosität, Nymphomanie, Masturbation und andere Formen so genannter weiblicher Devianz zu „heilen“. Bekannt war, dass die weibliche Libido durch derartige Eingriffe irreversibel beschädigt werden konnte, was aber nicht störte, solange sie Kinder gebären konnten: „… es steht fest, dass frigide Frauen, die den Coitus nur als Last empfinden und sich keiner sexuellen Befriedigung erfreuen, dennoch konzipieren und gesunde Kinder gebären.“
(Maria Pütz: Über die Aussichten einer operativen Therapie in gewissen Fällen von Masturbation jugendlicher weiblicher Individuen, Dissertation 1923)


Gabriele Proft (© VGA/ AZ-Bildarchiv)
Gabriele Proft (© VGA/ AZ-Bildarchiv)

Gabriele Proft (1879-1971)
Gewerkschafterin, Politikerin

Gabriele Proft kam wie viele andere Mädchen mit 17 Jahren nach Wien, um als Dienstmädchen und Heimarbeiterin zu arbeiten. Bald engagierte sie sich in der Gewerkschaft und in der sozialdemokratischen Frauenbewegung. 1919 wurde sie Gemeinderätin und SPÖ-Abgeordnete im Nationalrat. Gemeinsam mit Adelheid Popp stellte sie 1920 den ersten Antrag auf Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. 1934 schloss sie sich den Revolutionären Sozialisten an, 1944 wurde sie von den Nationalsozialisten verhaftet und bis Kriegsende im KZ Maria-Lanzendorf festgehalten. 1945 nahm sie ihre Arbeit im Nationalrat und in ihrer Bezirksorganisation Währing wieder auf.


Grete Wiesenthal (1885-1970)
Tänzerin, Choreografin, Tanzpädagogin

Grete Wiesenthal war ausgebildete Ballerina, trotzdem entschied sie sich gegen die einengenden Normen des klassischen Tanzes. Im Zeitalter des Jugendstils, in dem die Secessionisten künstlerische Freiheit und den Rückbezug auf die Natur forderten, suchte sie eben diese Freiheit auch im Tanz. Sie kreierte einen neuen Stil, der die Emotionen der Musik und der Tanzenden zum Ausdruck bringen sollte. Sie gründete eine eigene Tanzgruppe und eine Tanzschule. Sie wurde Dozentin an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst, führte das „Grete Wiesenthal Ensemble“ und war von 1952 bis 1959 Choreografin bei den Salzburger Festspielen.


Ingrid Leodolter (© ÖNB/ Bildarchiv)
Ingrid Leodolter (© ÖNB/ Bildarchiv)

Ingrid Leodolter (1919-1986)
Ärztin, Politikerin

Ingrid Leodolter war von 1961 bis 1971 ärztliche Leiterin des Sophienspitals in Wien, von 1971 bis 1979 SPÖ-Ministerin im neuen Ministerium für Gesundheit und Umwelt. Mit der Einführung des Mutter-Kind-Passes und der damit verbundenen erhöhten Geburtenbeihilfe wurde die Säuglingssterblichkeit, bei der Österreich das Schlusslicht Westeuropas war, deutlich gesenkt. Durch die Einführung der kostenlosen Gesundenuntersuchung für Frauen ab 30 wurde außerdem die Früherkennung von Brust- und Gebärmutterkrebs verbessert.


VALIE EXPORT (*1940)
Medien- und Performancekünstlerin

VALIE EXPORT gilt als eine der wichtigsten Pionierinnen konzeptueller Medien-, Performance- und Filmkunst. 1967 nahm sie ihren Künstlernamen an – als feministische Kritik an patriarchal-kapitalistischen Zuschreibungspraktiken: Bevor ein Eigenname die individuelle Einspeisung ins Marktgeschehen verdecke, werde er besser durch ein Logo ersetzt. Mehrfache Teilnahme an der documenta in Kassel und der Biennale in Venedig. Verschiedene Lehraufträge in den USA und Deutschland. Sie gilt als Protagonistin feministischer und kritischer Kunst. Nur wenige haben so intensiv und stringent die Bedingungen und Möglichkeiten der Medien, ihr Verhältnis zum weiblichen Körper und zur Gesellschaft hinterfragt.


Maria Lassnig (1919-2014)
Malerin

Maria Lassnig ging 1941 an die Wiener Akademie der bildenden Künste und musste diese 1943 wieder verlassen, weil man ihre Kunst als „entartet“ einstufte. Erst 1954 kehrte sie zurück und beendete ihre akademische Ausbildung. Gemeinsam mit Arnulf Rainer galt sie als Begründerin der informellen Malerei in Österreich. Sie lebte in Paris und New York, kehrte 1980 zurück und vertrat Österreich bei der Biennale in Venedig. Zahlreiche internationale Ausstellungen und Preise. Sie lehrte als Professorin für Malerei und Trickfilm an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst. Zentrales Motiv ihres Schaffens ist ihre eigene Person, ihr Körper, Körperbewusstsein und Körpergefühl.


Helene Deutsch (1884-1982)
Psychoanalytikerin

Helene Deutsch promovierte 1912 an der Medizinischen Fakultät in Wien und wurde Assistenzärztin an der Psychiatrischen Universitätsklinik. Als Schülerin und Mitarbeiterin Sigmund Freuds und seit 1918 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung war sie die erste Frau, die sich intensiv mit der „Psychologie der Frauen“ und weiblicher Sexualität befasste. 1923 ging sie nach Berlin, um sich weiterzubilden und bei Karl Abraham eine Lehranalyse zu absolvieren. 1935 flüchtete sie mit ihrer Familie in die USA. In Cambridge (Massachusetts) war sie bis zu ihrem Tod 1982 als anerkannte Psychoanalytikerin tätig.